Streit um die Putzfrauen-Versicherung
Der Kanton Bern stellt das vereinfachte AHV-Abrechnungsverfahren für Putzfrauen ein, das einst zur Vermeidung von Schwarzarbeit eingeführt wurde – zum Ärger vieler Arbeitgeber.
Mehrere Hundert Bernerinnen und Berner, die eine Putzkraft beschäftigen, haben dieser Tage Post von der kantonalen Ausgleichskasse erhalten. Mit zweiseitigem Einschreibebrief wird ihnen die Kündigung des bisherigen Abrechnungsverfahrens für die Sozialversicherungen mitgeteilt – mit dem Hinweis, ab dem neuen Jahr auf das Verfahren des Bundes wechseln zu können.
Beide Verfahren, das bernische wie das eidgenössische, sind Massnahmen gegen die Schwarzarbeit. Wer stundenweise eine Putzfrau, eine Haushalthilfe oder eine helfende Hand für die Gartenarbeiten angestellt hat, wird auf diese Weise eingeladen, dies legal zu tun. Der frühere Irrweg durch die verschiedenen Ämter wird deutlich abgekürzt. Mit einem einzigen Formular sind die wichtigsten Anmeldungen für AHV, IV, EO, Arbeitslosenversicherung und Kinderzulagen erledigt und mit einer Pauschale alle Ansprüche des Staates abgegolten. Die Idee dahinter: je einfacher der Meldeprozess, desto kleiner der Anreiz für die Arbeitgeber, sich aus der Verantwortung zu stehlen.
Bernisches Verfahren einfacher
Doch «einfach» ist relativ. Der Wechsel vom Kantons- zum Bundesverfahren empfinden viele Betroffene nicht als Vereinfachung. Im Gegenteil. Entsprechend viele Reaktionen – Fragen und Klagen – hat die Ausgleichskasse des Kantons Bern in den letzten Tagen und Wochen erhalten. Tatsächlich ist das bernische Verfahren («Top Combi») umfassender:
> Die Unfallversicherung ist inbegriffen – beim Bundesverfahren muss diese zusätzlich abgeschlossen werden
> Die Arbeitsbewilligung wird von der Ausgleichskasse bestellt – beim Bundesverfahren muss sie durch den Arbeitgeber eingeholt werden
> Die Kinderzulagen werden automatisch beantragt – beim Bundesverfahren ist dafür ein zusätzliches Formular erforderlich.
Unter dem Strich überwiegen mit dem Wechsel für die Arbeitgeber also die Nachteile. Trotzdem gibt es kein Zurück. Zwei Verfahren parallel zu führen, sei «zu verwechslungsanfällig, zu aufwendig und zu kostspielig», sagt Robert Gygax, stellvertretender Direktor der Ausgleichskasse des Kantons Bern. Die Kostenpauschale von 20 Prozent, die der Arbeitgeber entrichten muss, sei für den Kanton heute ein Defizitgeschäft. Heute rechnen im Kanton Bern rund 2300 Arbeitgeber nach dem kantonalen Verfahren ab und ebenso viele nach Bundesrecht.
Streit mit privaten Versicherern
Ein Streit mit der Versicherungslobby hat den Wechsel auf das Bundesverfahren zusätzlich beschleunigt. Der Kanton Bern war einst vorangegangen und hatte das vereinfachte Verfahren bereits zwei Jahre vor Inkrafttreten des neuen Bundesgesetzes gegen die Schwarzarbeit eingeführt. Dabei hat er die Unfallversicherung in das Pauschalarrangement mit eingeschlossen. Das stört die privaten Versicherer massiv. Denn die Ausgleichskasse lässt die Putzfrauen nicht privat, sondern bei der Suva versichern.
Für die privaten Versicherer ist dies eine unzulässige Einmischung in ihre Geschäftstätigkeit. Mit Erfolg haben sie auf Bundesebene bereits darauf hingewirkt, dass im vereinfachten Bundesverfahren die Unfallversicherung ausgeschlossen wurde. Zudem hat der Schweizerische Versicherungsverband beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine Aufsichtsbeschwerde gegen die Suva angestrengt, die sich gegen das Berner Verfahren richtet. Mit der Abkehr davon und dem Wechsel auf das Bundesverfahren dürfte sich diese zwar erledigen. Das BAG allerdings hat selber Interesse an einer möglichst einfachen Abrechnung der Unfallversicherung für Kleinbetriebe. Es würden deshalb «Lösungen» gesucht, wie Peter Schlegel, Sektionschef Unfallversicherung beim BAG, dem «Bund» bestätigt. Wie diese aussehen könnten, ist offen.
Mit dem neuen Bundesgesetz wurde vor drei Jahren der Kampf gegen die Schwarzarbeit verschärft. Die Arbeitgeber sollten mit einer aufwendigen Sensibilisierungskampagne («Keine Schwarzarbeit – das verdienen alle») aufgerüttelt und mit dem vereinfachten Abrechnungsverfahren zur legalen Anstellung motiviert werden. Zudem sollten verstärkte Kontrollen und Sanktionen die Arbeitgeber abschrecken. Was hats gebracht? Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) zog diesen Sommer eine positive Bilanz und wertete es ausdrücklich als Erfolg, dass in den ersten zwei Jahren unter dem neuen Regime 17 200 Arbeitgeber vom vereinfachten Verfahren Gebrauch gemacht haben.
300 000 schwarz beschäftigt?
Branchenkenner schätzen die Situation indes weit kritischer ein. Adrian Gsell, Pionier unter den Putzagenturen, geht von gut 400 000 Haushalten aus, die in der Schweiz eine Putzkraft beschäftigen, und von 300 000 Haushalten, die dies schwarz tun – drei Viertel der privaten Nachfrage würde also schwarz gedeckt. «Das Seco redet die Situation schön», sagt Gsell, Chef von Putzfrau.ch, einer Agentur, die 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Die Bemühungen des Seco sind für ihn «Pflästerlipolitik ». Gsell propagiert einen ganz neuen Ansatz: Die Arbeitgeber sollen die Lohnkosten der Putzfrauen von den Steuern abziehen können. «Damit wäre ein echter Anreiz für eine legale Anstellung gegeben.»
Autor: Jürg Sohm